Der Spiegel der Rusalki



"Ich hab die Schnauze jetzt gestrichen voll", Bauer Frynlein warf wütend den letzten Sack auf den Karren. "He, he, Schwager, das kannst Du mir nicht anlasten. Ich kann nichts dazu, dass Du mir sowenig Korn bringst. Bei 20 Sack Getreide ist der Mühlenbetrag höher als wenn Du mir 50 Sack bringst. Das mußt Du doch einsehen. Auch ich habe Mäuler zu stopfen." Dem Müller war es sichtlich nicht wohl in seiner Haut, aber im grundegenommen verstand er den Groll des Schwagers. "Ich brauche das Mehl für uns selbst, davon kann ich nichts mehr verkaufen. Die Kuh ist letzte Woche nun doch krepiert. Die Frau und die Kinder gehen jeden Tag Meilen um nicht versalztes Wasser vom Waldrand zu holen. Der Brunnen taugt nichts mehr. Dieses verdammte Salz. Überall kriecht es aus dem See - verpestet das gesamte Land. Eugen, wir halten nicht mehr durch. Nächstes Jahr wird die Ernte noch schlechter werden.", er starrte hinüber zum Waldrand - der Müller folgte seinem Blick "Nein, Frynlein, nicht auch noch ihr" - der Müller war ernsthaft erschrocken - "Wollt Ihr es wirklich wagen, denkt doch die Gefahren." - "Pha, Gefahren - hast Du nicht gehört, was die Heimkehrer erzählten? - Es war alles Schwindel - die Händler haben uns zum Narren gehalten. Wer weiß, ob es überhaupt jemals Orks gab. Nein, wir müssen weg von diesem See, wenn wir leben wollen." er griff nach der Deichsel des Karren. "Schwager, das ist unsere Heimat - hier haben unsere Väter angepflanzt, geerntet und gefischt. Das können wir doch nicht aufgeben. Woher willst Du wissen, dass Du neues Land bekommen wirst, wovon willst Du leben?" der Müller wurde immer eindringlicher. Bauer Frynlein schaute gedankenvoll zum See rüber "Gefischt - in dem See lebt schon lange nichts mehr, weißt Du nicht mehr, wie immer mehr und mehr Fische mit dem Bauch nach oben an Land gespült wurden. Das Getreide wird immer kleiner. Auf vielen Feldern geht die Saat seit Jahren schon gar nicht mehr auf und es werden immer mehr. Nein, wir müssen auch fortziehen, Eugen, wenn wir überleben wollen. Fort von diesem verdammte See - ich sage Dir, dieser See ist verflucht - und wir mit ihm …"

Der Karren rollte durch die Gassen, vorbei an in sich zusammenfallende Holzhäuser, verlassen und verweist. Dahinter die einstmals so goldenen Kornfelder - es ist Erntezeit - aber große Teile des Landes waren nur noch grau. Nicht einmal Gras wollte noch wachsen. Weiter zum See hin hatte der Boden sogar eine weiße Kruste. "Als ob die Erde verfault und verschimmelt" Am Ufer des Sees wuchsen die Felsenbrocken als Stalagmiten - riesige Fingern gleich - jeden Tag ein Stück mehr - der See streckte seine totbringenden, gierigen Krallen aus, als ob er alles Land einfordern wollte.
Die Salzkristalle waren schon lang nicht mehr nur im Wasser. Überall lagen sie herum - Regen und Wind schien sie zu verbreiten - und wo sie niederfielen, begannen sie zu wachsen und zu wuchern.

"Diese Narren", murmelte Frynlein vor sich hin, als er an dem Tempel vorbeirollte. Früher war der Tempel einmal die Gemeindehalle gewesen. "Jetzt haben sich hier die Wanderprediger eingenistet. Wo kamen die alle auf einmal her? Ja, richtig, früher hatte schon den einen oder anderen gesehen. Aber nun ziehen sie gar nicht mehr weiter, was soll das?"
Maria, die Nachbachrsfrau, grüßte ihn, sie hatte einen Korb mit frisch gebacken Brot unter dem Arm "Guten Abend, Nachbar - ich muß mich eilen -" - "Ja sicher," brummelte Frynlein, "tragt das wenige, was noch übrig ist diesen Müßiggänger hinterher. Wie gut, wenn diese einen satten Bauch haben." erschrocken hielt Maria inne "Nachbar, so dürft ihr nicht reden" sie schaute sich hastig um, "der See muß aufgehalten werden, wir müssen an das Versprechen der Göttin glauben. Sie wird uns helfen, es aufzuhalten und die Grenzwelt geschlossen zu halten - es darf nicht noch schlimmeres geschehen. - Nachbar, wir müssen stark bleiben." sie sprach sehr eindringlich. Frynlein winkte nur ab: "Manche lernen halt nie" murmelte er im weitergehen "die Händler haben gelogen, jetzt sind es eben die Priester, dieser Kelib - was für ein Spinner - Träumereien, redet den Leuten so einen Unfug ein. - Ja, füttert sie, wenn ihr es für richtig haltet - ich und die meinen werden hier nicht verhungern und auf die Versprechungen von neuen Lügnern hereinfallen. Meine Entscheidung steht fest. Wir werden in die Fremde ziehen."

In der ehemaligen Gemeindehalle war ein Altar errichtet worden - ständig brannten Kerzen und warfen ihr spärliches Licht an die Wände - das Murmeln der Gebete hallte wieder, wie das Summen in einem Bienenstock. Maria stellte ihren Korb auf den für Spenden vorbereiteten Tisch. "Die Kinder Ijaschins danken dir, gute Frau" sprach der Mönch sie an. "Darf ich Euch nochmal bitten nach der alten Frau zu schauen. Es wird immer schlimmer mit ihrem Wahn und wir wissen nicht mehr, wie wir sie noch aufhalten können." Maria ging hinüber in eins der weißen Häuser. Sie dienten jetzt den Priestern als Quartiere. In einer der hinteren Zimmer hörte sie ein Stöhnen.
Sie schob den Vorhang, der als Tür diente, beiseite und blieb erschrocken stehen. "Warum habt ihr die Ärmste angebunden? Das ist unmenschlich - macht sie los" - Der Mönch neben ihr schüttelte traurig den Kopf: "Glaubt mir, es ist uns nicht leicht gefallen. Aber der Wahnsinn treibt die Ärmste ärger denn je. Sie wollte sich in den See stürzen. Wir konnten sie gerade noch herausholen." - "Das Zeichen - Kelib, mach endlich das Zeichen - Anhalten - sie muß anhalten." man mußte schon genau hinhören, um diese gebellten Worte zu verstehen. Maria wußte, was sie sagte, sie pflegte die geisteskranke Witwe nun schon seit so vielen Jahren. "Kelib geht es gut, Aruscha." - Sie versuchte die Kranke zu beruhigen, legte ihr leicht die Hand auf die Stirn. Die Kranke entspannte sich - sie schien nach einer Weile sogar einzuschlafen. "Wie kann ich Dir nur begreiflich machen, Aruscha, dass Ijaschin uns jetzt beschützt und dass Dein Kelib uns alle vor dem sicheren Untergang gerettet hat - vielleicht," so dachte sie voll Gram "wärest Du glücklicher in den Armen der singen Rusalkis im See - vielleicht hätten sie Dich Arme ziehen lassen sollen …"


***


Kelib war zu einem jungen Mann herangewachsen. Er hatte das Boot seines Vater wieder hergestellt. Die modernden Planken waren ausgetauscht. Es war frisch gestrichen, in der Lieblingsfarbe seiner Mutter, gelb und sorgar bunte Blumen, die sie so liebte, hatte er draufgemalt.

Seine Lehrzeit beim Schreiner war nun beendet. Er hatte immer in der Werkstatt geholfen. Seit jener grauenvollen Nacht, in der Mutter wahnsinnig wurde, hatten sie Unterschlupf und Fürsorge bei der Familie des Schreiners gefunden. Die Frau Maria versorgte Mutter und er wollte dem Meister gern in der Werkstatt helfen. Der Schreiner lehrte ihm sein Handwerk. Kelib stellte sich geschickt dran. Seine Arbeiten standen denen seines Sohnes, Jossle, in nichts nach. Obwohl Jossle drei Jahre älter war als Kelib. Irgenwie verstand Kelib im Laufe der Zeit, dem Holz, das er bearbeitete, sogar noch etwas besonders zu verleihen. Er begann diese zu verziehren zunächst mit einfachen Mustern, Kreisen und Rechtecken. Anstatt aber wie die anderen Kinder draussen beim Spielen die Kräfte zu messen, streifte Kelib oft durch die Felder bis hin zum großen Wald. "Als ob der Junge da draussen etwas suchte", sagte Maria manchmal.
Kelib schnitzte bald Blätter und Kornähren-Motive in seine Arbeiten. Ein Kerzenständer bekam als Fuß einen Spatzen mit einem Wurm im Schnabel. Stundenlang saß er oft bei seiner Mutter, die ihn aber kaum mehr zu erkennen schien. "Anhalten - mach das Zeichen". Das waren die einzigsten Worte, die man je von ihr vernahm. Immer wenn sie dies sagte, lief Kelib mit hängenden Schultern davon.
Der Schreiner war oft zum Fischen unterwegs. Seitdem die Händler nicht mehr da waren, hatte er nicht mehr so viel zu tun. Wie oft ging schon ein Stuhl entzwei, dass man einen neuen brauchte. Es gab sie auch nicht mehr, die Karawanen, die seine Sachen auf die Märkte brachten.
Zuweilen war aber doch einiges zu tun. Immer wenn eine Hochzeit bevorstand und eine Familie Nachwuchs erwartete. Jossle merkte bald, das Vater diesen Kelib ihm vorzog. Diesen komischen Kautz, der nie einen Spass mitmachte. "Sieh Dir diese zierlichen Figuren an, Jossle …" - ‚was soll das schon besonders sein, geht nur schneller kaputt', nein Jossle mochte Kelib nicht. Er ärgerte den jüngeren wo er nur konnte. Kelib lief in die Felder. ‚Ja lauf nur - hoffentlich kommst Du nicht wieder'.

Das Boot war startbereit. Der Schreiner war mit Jossle schon längst zum Fischen rausgefahren. Kelib verspätete sich - aber er wollte sichergehen, dass beim ersten Zuwasserlassen auch wirklich alles in Ordnung war. Er konnte die anderen Fischerboote schon nicht mehr sehen. Nun mußte er sich eilen, dass er sie noch einholte. Es war abend - heute sollten die Krebsreusen geleert werden. Krebse fängt man besser in der Nacht. Hoffentlich hatten sie reiche Erträge diesmal. Die Netze waren nicht mehr so voll wie früher. Oft fand man tote Fische mit aufgeblähten weißen Leibern am Strand - in der Schänke munkelten die Männer, dass es immer mehr wurden.
Kelib legte ab - er ruderte in die Richtung der Krebsreusen, den Fischern hinterher. Er war schon oft mit draußen gewesen - kannte den See. Vorbei an der bewaldeten Insel, links an der Bucht vorbei, das war sein Weg.
Als er die Insel passierte hatte - wollt er kurz verschnaufen und lies die Ruder sinken. ‚Komisch' dachte er ‚ das Boot bewegt sich noch immer' ein leichte Strömung hatte es erfaßt und drängte es auf die Insel zu. ‚Na dann eben keine Pause' er griff wieder nach den Rudern und legte sich in die Riemen. Aber so sehr er sich auch ansträngte, kam er doch keinen Millimeter voran. Im Gegenteil, die Strömung schien immer stärker zu werden und genau in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. ‚Das hat mir gerade noch gefehlt' irgendwann mußte er einsehen, das seine Kräfte dafür einfach nicht ausreichten, das Boot aus der Strömung zu bringen. Resignierend lies er die Ruder sinken und sich auf die Insel zu treiben. ‚Dann muß ich dort eben abwarten, bis sich die Strömung dreht. Hab wohl keine andere Wahl.'
Kelib durchstreifte die Insel. Dutzende Male waren sie als Kinder hier draussen gewesen, hatten im Wald gespielt und in den Klippen an der nördlichen Spitze den Eingang zu den Grotten entdeckt. Niemals waren sie dort weiter hineingelaufen. Wozu auch - war ja nur ausgewaschenes Gestein. ‚Aber oben von den Klippen kann ich vielleicht die anderen Boote sehen, dachte er - ich komme so schnell hier sowieso nicht weg.' Er machte sich auf den Weg und bestieg die Klippen am nördlichen Ende. Ja, dort draußen ganz in der Ferne, sah er die Lichter der anderen Fischer. Er suchte sich ein bequemes Plätzchen und schaute hinaus in die sternenklare Nacht.

‚Es ist wie damals' dachte er, ‚als ob man noch immer die Schreie hören könnte. - Was es wohl gewesen sein mag, was hatte sich die Tante gewünscht?' Diese Frage stellte sich Kelib jetzt zum abertausensten Male. Seine Gedanken wanderten wieder zu seiner Mutter: ‚Sie ist nicht so verrückt wie ihr alle glaubt, nur wovon sollen wir Euch denn erzählen? - Nein, der war keiner von den Mönchen - das weiß ich jetzt genau, er war ein Zauberer. Er wird auch nicht wiederkehren. Aber das Ding da im See ist noch immer da….' er schlug die Hände vors Gesicht ‚Nein, nein, sicher ist es in zwischen zerstört - es kann nach so langer Zeit nicht mehr funktionieren. Sicher hat das Wasser das Holz schon aufgelöst - es kommt nichts mehr raus. Alles ist in Ordnung, alles in Ordnung…" Kelib versuchte sich das seit Jahren schon so einzureden. Aber in seinem Herzen bohrten die Zweifel. "Er hätte uns das niemals geben dürfen, das ist nicht natürlich - er war ein Lügner, ein Gefährlicher - so wie die Händler es sagten. Aber die Händler waren auch Lügner … Was ist die Wahrheit? - Wo kann man die Wahrheit nur finden …?" ….
Kelib starrte in die Tiefe - diese Gedanken hatte er schon zu oft gedacht - er würde nie eine Antwort darauf erhalten. Unten am Fuße der Klippen leckten kleine Wellen die Kiesel zum Strand. Dort begann der Eingang zur Grotte - ‚Was ist das?' - Kelib beugte sich weiter vor, um genaueres zu sehen - ‚da unten ist etwas - es leuchtet' - ein bläuliches Licht schien aus dem Grotteneingang zu dringen. Kelib begann die Klippen herabzusteigen, um sich das genauer anzuschauen. Unten angekommen entdeckte er, dass der Eingang zur Grotte versperrt wurde durch einen riesig großen Kristall. Fast druchsichtig reflektierte er das Licht des Mondes und der Sterne. Wo kommt der denn her? Er ist wunderschön.' Seine Hände fuhren über die Oberfläche … an manchen Stellen brökelte und rieselte es herunter. Kelib roch daran - dann leckte er vorsichtig an seiner Handfläche. ‚Salz' - wie kommt ein solch riesiger Salzkristiall hier her. - ‚Muß wohl in der Grotte gewachsen sein.'
Er schaute zu den Sternen empor - vielleicht ist die Strömung ja jetzt vorbei - dachte er und machte sich wieder auf den Rückweg zu seinem Boot.

Dunja, war das hübscheste Mädchen in RybakinaMorie. Alle jungen Burschen hofften, dass sie beim Tanz am Sonntag von ihr bedacht wurden. Aber Dunja wollte sich noch nicht entscheiden. Die Mutter hatte angefangen sie zu drängen, des Bauern Askus Ältester, der wäre doch die beste Partie. Nein, Dunja hatte es nicht eilig. Sie genoss die hinter ihr herschmachtenden Blicke, wenn sie mit der Mutter auf den kleinen Markt ging. Viele Mädchen beneideten sie, sie brauchte nur einen Finger ausstrecken und schon boten sich mindestens zwei Burschen an, ihr den Korb tragen zu helfen.
Besonders verrückt benahm sich dieser Jossle. Dunja konnte kaum zwei Schritte gehen, ohne dass er nicht ihre Nähe suchte. Nein, der ist auch nur wie alle anderen, so einen wollte sie nicht, auch nicht den rauhen Sohn vom Askus, der sofort ins Stottern geriet, wenn sie ihn ansah.
Sie träumte von ganz anderen Dingen. Vom Sommerwind, der über die Kornfelder streifte - vom Glanz des See-Spiegels im Mondlicht - vom Regenbogen über dem Wald. Oh ja, sie wußte das sie schön war. Fühlte sie sich unbeobachtet, betrachtete sie oft stundenlang ihr eigenes Bild im Spiegel. ‚Wo find ich sie, die vollkommene Schönheit - wo kommt alle die Schönheit unserer Welt zusammen - wie würde dies sein ?' Diese Tagträumerei war natürlich närrisch, aber irgendwie konnte und wollte sie sich nicht vorstellen, dass sie wie ihre Mutter ihre zarte Hände in Waschwasser beim Schrubben verwelken lassen sollten. Das sie Gramfalten auf der Stirn bekommen sollte, weil der Mann zu lange in der Schänke saß. ‚Es muß da mehr geben, dachte sie - irgendwo da draußen - es muß es geben …'

Sonntag abend: Das ganze Dorf hatte sich fein gemacht. Es ist mal wieder soweit, das Erntefest steht vor der Tür. Jossle zog zum zehnten Mal den nassen Kamm durch sein Haare und pfiff dabei. "Schmuck siehst Du aus, Junge, da wird Dich Dunja nicht übersehen können" Maria neckte ihren Sohn gern ein wenig. "Hör mal", wurde sie ernst "Nimm Kelib mit den Burschen mit. Er muß auch auf das Tanzparkett - schau er hat es doch nicht so leicht, so ohne Familie und …" - ‚Jetzt geht das schon wieder los', aber Jossle antwortete nur: "Hast Du gehört, Kelib, los schnapp Dir Deine Jacke - wir wollen los." Dankbar drückte Maria ihrem Sohn einen Kuß auf die Wange und schob dann Kelib zur Tür hinaus. "Habt viel Spass ihr zwei …".
Kelib trottet hinter Jossle her. "Dass eins mal gleich klar ist - die Dunja fordere ich zum Tanzen auf. Dass Du ja Deine Augen von ihr fortläßt. Am besten Du bleibst einfach in den hinteren Reihen. Hast Du verstaden?" Kelib lies sich zurückfallen. ‚Dir lauf ich doch nicht hinterher - Für wen hälst Du Dich eigentlich'. Natürlich war Dunja ihm auch aufgefallen. So ein Mädchen übersieht keiner. Aber im Traume nicht, wäre er je auf die Idee gekommen, sie anzusprechen, geschweige denn zum Tanzen aufzufordern. Aber Jossle, als ob Dunja auf so einen wie Jossle wohl warten würde.
Kelib holte sich einen Krug Bier und wandte sich in die hinteren Reihen. Er setzte sich oben auf einen Grashügel und betrachtete zunächst das frohe Getümmel von hier oben aus. Die Sterne stiegen höher und höher. Kelib drehte sich um und beobachte ein Wetterleuchten über dem Wald, nichts besonderes um diese Jahreszeit,- aber es war unvergleich schön. Ganz in Gedanken versunken merkte er nicht, dass sich jemand neben ihn gesetzt hatte. "Dunja'" entfuhr es ihm "Ich bin all diese Gockel so leid, weißt Du" Kelib wußte nicht, was er darauf erwidern sollte "Ich liebe Wetterleuchten", sagte sie "ich will dies auf keinen Fall verpassen." "Ja, es ist wohl der letzte Abend dieses Jahr dafür." Kelib war sich nicht sicher, was er sonst hätte antworten könnte. "Aber dafür gibt es bald die Gewitternächte …" Sie drehte ihren Kopf herum: "Du kennst Dich ja gut aus .." verspottete sie ihn ? "Nein, im Ernst, ich verpasse nie die Sternschnuppen oder einen Regenbogen. Das ist doch vollkommene Schönheit, findest Du nicht?" Sie sah ihn mit ihren großen hellen Augen an: "Vollkommene Schönheit, ja …vielleicht - vielleicht aber auch nicht" Er könnte sich ohrfeigen für sein Gestammel - er versuchte sich zusammen zureißen - sie sagte: "Ja vielleicht … denkst Du, dass es jemals vollkommene Schönheit bei uns Menschen geben kann - es gibt soviel schönes - aber ich meine so richtige Vollkommenheit…" sie kicherte, "Siehst Du, leuchtender Sternhimmel und so sind ja ganz nett, aber wer kann schon wirkliche Vollkommenheit erschaffen?" Darauf wußte Kelib nichts mehr zu sagen. Das Wetterleuchten verblaßte langsam. "Muß wieder zurück, sie werden mich schon suchen" damit sprang sie auf und rannte den Hügel hinunter. Kelib starrte noch lange in die Nacht.

Tausende Male hat Kelib sich vorgestellt, was er dem Zauberer sagen würde, wenn er ihm je wieder gegenüber stehen würde. "Hol die Mühle aus dem Wasser" oder "Mach meine Mutter wieder gesund". Dies waren doch nur verzweifelte Wünsche eines kleinen Jungen gewesen. Wer weiß, ob der Zauberer überhaupt noch lebte. Es hätte keinen Sinn loszuziehen, ihn in der weiten Welt zu suchen. Wo sollte er den anfangen. "Habt Ihr einen alten Mann im zerschliessen Kittel gesehen?" Nein, es wäre töricht.
Aber jetzt nach all dieser Zeit würde er ihn vielleicht auch fragen: "Hast Du gewußt, dass die Händler Lügner waren und uns deshalb das Kästchen gegeben, um uns von ihnen zu befreien?"Ja, das war ein beruhigender Gedanke und er hörte auf, Ausschau nach dem Zauber zu halten.
Heute Nacht aber, dachte er wieder an ihn, diesemal hätte er ihm aber eine andere Frage gestellt: "Zauberer, kann der Mensch Vollkommenheit erschaffen? Gibt es Schönes und Gutes ohne Lug und Not und Krankheit? Können wir vollkommene Schönheit erschaffen ohne jeglichen Makel?" er dachte an Dunja und erwußte zugleich, sie war vollkommen. Wie soll man dieses Gefühl noch überbieten? Sie hatte keinen Makel, war vollkommen und wunderschön.
Warum hatte sie ihm diese Frage gestellte? Wußte sie vielleicht gar nicht, dass sie selbst die Antwort war? ‚Wie soll ich ihr das nur zeigen?' Ihm viel der Kristall auf der Insel wieder ein - wenn Menschenhand erschaffen kann, warum soll man es nicht versuchen. Am nächsten Tag ruderte er zur Insel hinaus. Mit Hammer und Meißel machte er sich ans Werk - zwei Tage lang kehrte er nicht heim. Die Schreinerfamilie sorgte sich schon sehr. Aber dann kam er doch und holte sich Essen ab. "Macht Euch keine Sorgen - bin bald wieder da - hab zu tun." Maria hatte keine Chance zu erfahren, was es zu tun gab - er war wieder verschwunden.

Nach mehr als einer Woche war er wieder da, und alles lief in seiner gewohnten Weise weiter, als ob er nie fortgewesen wäre. Maria fragte zwar, erhielt aber keine Antwort und irgenwann lies ihre Neugier nach. Das nächste Fest, war das Fischerfest draussen auf dem See. Trotz der schrecklichen Geschehnisse, hielten die Menschen an ihren Traditionen fest. Kelib hatte darauf bestanden, in seinem eigenen Boot mit hinauszufahren.
Das Fest war in vollem Gange. Dunja saß mit ihren drei Freundinnen kichernd in einem der Boote, längsseits hatte ein Boot der Burschen festgemacht. Kelib löste die Leine, die sein Boot mit den anderen verband und paddelt vorsichtig auf das Boot mit den Mädchen zu. "Dunja", sprach er sie laut vor allen an: "Du hattest mich mal gefragt, was vollkommende Schönheit ist. - Komm mit, ich will sie Dir zeigen" Die Blicke aller wendeten sich dem Außenseiter zu. Der, der sonst nie dabei war, wenn es Spass gab. "Was will der denn hier…" - "He, Kelib - bist Du sicher das Dein Boot jetzt kein Leck hat, wenn Du so einfach die Mädchen angräbst" - Dunja drehte sich amüsiert zu Kelib hinüber "Nun laßt mal, sagte sie, vielleicht hat er ja wirklich was gefunden - Interessanter als Eure abgedroschen Witze, wird es schon sein. - Ja, Kelib, dann zeig mal, was Du gefunden hast." - "Jungs, laßt mich mal rüber in Kelibs Boot". Dunja kletterte geschickt über die Bootsbänke, bis sie sicher in Kelibs Boot saß. Er griff nach den Rudern. "He Dunja, Du wirst doch nicht allein mit dem Sohn einer Verrückten fahren. Der wird Dich zu größten Tiefen bringen und dort ertränken. Warte, wir kommen mit und werden auf Dich acht geben." es war Jossle, der sich für den heutigen Abend doch eigentlich was vorgenommen hatte. "Laßt die Leine gleich dran und zieht uns mit" riefen die Mädchen vom anderen Boot. Die Burschen legten sich mächtig in die Riemen um den kleinen Vorsprung den Kelib und Dunja schon hatten wieder aufzuholen. Weit mußten die kleine Gesellschaft nicht rudern. Es ging nur zur Insel - Kelib führte die Gruppe am steinigen Strand entlang - neben ihnen im Gebüsch knackten kleine Ästchen und der Wind fuhr durch das Unterholz. "Irgendwie gruselig, meint ihr nicht?" "Angsthase, kannst ja bei den Booten bleiben, wenn Du Dich nicht traust."

Sie hatten jetzt die Nordspitze erreicht. Als sie den Eingang zu Grotte sahen, blieben sie sprachlos stehen: In den schönsten funkelnden Blautönen wurde der Eingang umrankt von kristallenen Blumengirlanden. So filligran und perfekt, wie schöner es die Natur selbst nicht konnte. Das Mondlicht spiegelte sich in den Fazetten und erzeugte atemberaubende Lichtreflexe. "Das ist es, was Du mir zeigen wolltest ?" - Dunja ging einige Schritte näher heran - "Ja, das ist in der Tat wunderschön …" - Jossle trat neben sie. ihm war schon klar, wie sehr solch ein Schnickschnack auf die Mädchen wirkte, das hatte er doch schon gesehen, bei jedem Kerzenständer, jedem Bilderrahmen von Kelib hieß es von den Mädchen doch immer gleich ‚ach wie niedlich, ach wie süß …' irgendwie mußte damit doch endlich mal Schluss sein - Wut kroch in ihm hoch - "Aus was ist das gemacht ?" - "Es ist Salz." antwortete Kelib - "Ich habe es hier gefunden." - "Wenn es aus Salz ist, gehört es eigentlich nur in die Suppe. - Guck mal wie dünn du die Blätter gemacht hast" er streckte eine Hand aus und brach ein Blatt ab. "Siehst Du, das hält nicht einmal den nächsten Regen aus." - "He - mach es nicht kaputt, rief Ysabelle, eins der Mädchen. Aber sie mußten zugeben, dass Jossle nicht ganz unrecht hatte. "Vollkommene Schönheit ...." begann Dunja, "nun ja, es ist wunderschön, Kelib - so wie es Regenbogen und Wetterleuchten auch sind. Aber vollkommen, wie man sieht, ist es nicht." und warf Jossle einen zustimmenden Blick zu
"Dies ist nur der Eingang" - sagte jetzt Kelib leise - "bitte, geht weiter, wir müssen in die Grotte hinein."

Gleich am Eingang hatte Kelib mehre Fackeln liegen. Er reichte sie jetzt herum und sie zündeten sie an. Es ging ein schmalen Gang hinein und man hatte das Gefühl, das es immer weiter abwärts ging. "Hauptsache wir finden dann den Weg wieder heraus." - "Es ist nicht mehr weit, gleich hinter der nächsten Biegung", sagte Kelib. Nach der nächsten Kurve tat sich vor ihnen eine Halle auf, die riesig zu sein schien. - Das Deckengewölbe muß viele viele Meter über ihnen sein. Aber das sonderbare war, die Wände ringsumher waren mit tausenden und aber tausenden Spiegeln übersäht. Als ob die Wände aus silbernen Gestein bestanden hatten und sie jetzt von einer Kristallkruste überzogen worden war. Von überall her an den Wänden funkelten und spiegelte sich der Raum in sich selbst wider zu einer gigantischen Größe hinauf. Niemand konnte erahnen wie weit oder hoch er wirklich war. Alle, sogar Jossle, hielten den Atem an. Nur Kelib nahm ihm seine Fackel aus der Hand und ging in die Mitte der Halle. Dort steckte er eine Fackel links eine rechts in den Boden. So beleuchtet erblickten sie, was Kelib wirklich gemeint haben mußte:

Ja, dafür gab es kein anderes Wort *** Vollkommene Schönheit **** Es war eine über zwei Meter hohe Statue - in einer grazilen anmutigen Pose - schien sie fast im Raum zu schweben. Alles an ihr schimmerte und leuchtete und jedes Detail schien die Augen des Betrachters einfangen zu wollen. Dunja - schlug erschrocken die Hände vor den Mund - "Nein, das kann … das ist ja …. " - "Schaut Euch das an" sagte einer der Burschen "das ist ein Abbild unsere Dunja". Noch immer staunend liefen sie um diesen riesen großen Kristall herum, um jede weitere Einzelheit zu betrachten. "Das hast Du gemacht?"
"Ja" - antwortete Kelib - "irgendwie war es auch ganz leicht. Der Kristall hat sich fast wie von allein geformt. Gefällt es Dir ? Das ist meine Vollkommene Schönheit und diese wollte ich Dir zeigen." Dunja wußte nicht, was sie dazu sagen sollte, ihr war ganz benommen. Das sah Jossle genau. Statue hin, Statue her, irgendwie mußte er dem Firlefanz hier ein Ende setzen, es geht ja wohl nicht an, das der mit solchem Schnickschnack-Zeug sich so aufblasen kann. "Na wie hübsch, meißel Dir Deine Traumwelt doch in Stein - stell sie in die entlegenste Grotte und himmele sie an … da sind mir aber Menschen aus Fleisch und Blut tausendmal lieber. Tot ist es hier - merkt das denn keinen von Euch. Uch, wie entzückend, wie giltzernd. - Hör mal, Kelib, wieso denkst Du, Du könnteuns mit sowas beeindrucken. Wer denkst Du will Deine verschrobenen toten Traumwelten schon haben? Das ist doch nichts Echtes - nichts Lebendinges - nichts womit man reden, sich amüsieren kann. Wo bleibt denn da der Spass, Tanzen, Musik ? - Und überhaupt, was faselst Du hier von Vollkommenheit. Ich sag Dir was Dein Traum von Vollkommenheit ist - Er ist der Tod - wie alles hier - nur ein toter Traum." Er fuhr mit der Hand über einen Steinsockel - wischte das darauf liegende Salz auf und schleuderte es mit einem weiten Schwung gegen die Spiegelwände.

-Stille -

Die Spiegel begannen leise zu erzitterten - ein unheimlichen Grollen hob an. Die Burschen und Mädchen, die den Spiegeln am nächsten standen, fingen an zu schreien und zu kreischen. Etwas zog an ihnen - saugte sie immer stärker zu den Wänden, hinein in die Spiegel hinein. Alles ging so blitzschnell. Kelib, Jossle und Dunja, die noch bei der Statute standen, mußten mit ansehen, wie ihre Kameraden einfach in den Spiegeln verschwanden. Sie sahen sie dort drin - jeden einzeln - wie diese verzweifelt von innen mit ihren Fäusten gehen das Kristall einhieben und schrien. Doch kein Laut war zu hören. "Was ist das?" - "Was ist hier geschehen?" - "Das ist alles Deine Schuld, Kelib" - Jossle rannte auf den Spiegel zu in dem sein bester Freund verzweifelt tobte, um nach außen zu gelangen. "Laß sie sofort wieder raus, Du …" - "Aber ich habe das nicht getan …." Kelibs Worte klangen hilflos. "Ich weiß nicht, wie sowas geschehen kann …" "Aber Du hast doch hier alles erschaffen. Du mußt doch wissen, was das hier für eine Teufelei ist. Laß sie wieder raus." Dunja's Stimmte überschlug sich. "Nein, das weiß ich nicht." Kelib war hilflos "Als ich die Höhle fand, waren die Wände mit der Kristallschicht schon so überzogen. Die Spiegel waren schon da. Ich habe nur die Statue gemacht."

Ein Rauschen erhob sich. Sie schauten unwillkürlich alle drei nach oben, wo die Decke der Halle sein mochte. Dunst, wie ein Nebelschwaden kreiste dort oben - verdichtete sich. Das Rauschen wurde stärker, ging in ein Heulen und später Kreischen über - mettalisches Klirren war zu vernehmen. Tiefer und tiefer drangen die Nebel in den Raum vor - nahmen langsam Formen an - gierig ausgestreckte Krallen - aufgerissende Mäuler -
"Was ist das …" - "Woher kommt das alles - und woher kommt denn überhaupt all dieses Dreckssalz…." Jossles Stimme überschlug sich in blinder Wut… verzweifelt schaute er in die Runde, auf die Freunde in den Wänden, die jetzt nur noch kraftlos auf die Innenseite der Spiegel einschlugen. Zwei der Mädchen waren bereits weinend zusammengebrochen. Die Nebelschwaden füllten nun fast den ganzen Raum. Es war ein gespennstiges Bild und die Geräusche waren unerträglich. Jossle packte voll Verzweiflung eine der Fackeln und wollte ausholen den ersten Spiegel zu zerschlagen. "Nicht" rief Kelib, "tu es nicht, was ist wenn Du ihn damit tötest, er ist doch ein Spiegelbild - wenn der Spiegel zerspringt, vielleicht stirbt er dabei." Jossle hielt inne - "Hast Du eine bessere Idee?" schrie er wütend ihn an - Sein Blick fiel auf die Statue. "Vielleicht fangen wir mit dem Ding da an." Das ist nichts Lebendiges - das ist so unnütz, wie nur irgendwas." Er stieß Kelib zur Seite und holte zu einem mächtigen Schlag aus. Die Fackel traf die Statue in den Leib. Dunja schrie auf - krümmte sich wie gepeinigt vom Schmerz. Sie fiel zu Boden. Kelib sprang zu ihr.
Die Fackeln erloschen. Für einem Moment herrschte absolute Stille.

Dann schwollen ein Grollen an - die schrillen Stimmen der Nebelschwaden kreischten wieder - ein leichtes Glimmen erst - und plötzlich erstrahlte die Statue in unvorstellbarem Glanz. Die Fackel steckte noch immer in ihrer Seite - jedoch neigte sie ihren Kopf zu den drei Menschen zu ihren Füßen hinab.
Die Nebelschwaden um kreisten sie - zeterten und schrien - aber die Statue schien sie einfach aufzusaugen. Kelib und Jossle hatten ihre Augen bedeckt. Als die kreischenden Stimmen verhallt waren und nur noch Stille herrschte schauten sie vorsichtig wieder auf. In strahlendem Glanz - funkelnd und völlig rein - schaute die Statue auf sie herab. Sie hatte den Kopf geneigt und sah sie aus lebendigen Augen drohend an:
"Ihr wagt es mich herauszufordern. Was bildet ihr kleinen Menschlein Euch ein? -
Was glaubt ihr, gibt Euch das Recht, die Grenzen meiner Welt zu überschreiten." Die kristallklare Stimme war hell und ohrenbetäubend - zigfach hallte sie wieder über die Wände der zitternden Spiegel. "Ich bin Ijaschin - die Hüterin der Spiegelwelten - Eure Träume und Wünsche, Menschlein, hütete ich seit Eurem Erscheinen. Wozu seid Ihr gekommen? Wähnt Ihr Euch schon bereit die Wahrheiten der Welt zu sehen, zu verstehen und zu ertragen? - Seit Ihr gekommen, um Eure Träume und Wünsche einzufordern ?" -
Kelib hielt knietend, Dunjas Kopf in seinem Schoß; Jossle war gleichfalls knient zu Boden gegangen. Er bedeckte seine Ohren mit den Händen - schier unerträglich durchdringlich war IHRE Stimme.

Kelib war sich im Klaren darüber, dass er antworten mußte - er hatte auf einmal wieder dieses Gefühl von Schuld - aber wieso nur, er wollte doch nur …
"Ijaschin … " hörte er sich plötzlich selbst sprechen - er faßte Mut "Ijaschin, Deinen Namen habe ich bereits vernommen, die Mönche auf der großen Suche, haben uns von der verlorenen Göttin erzählt…..
Verzeiht, wenn dies hier alles falsch war …Ich … ich allein bin daran schuld. Ja, ich habe nach einer Antwort gesucht. Die Frage war: Was ist Vollkommenheit? Niemals wollte ich Euch damit belästigen. Ich hatte sie doch auch schon gefunden. Dunja, sie ist meine Vollkommenheit - sie ist der Teil, der mich vollkommen werden läßt. Ich wollte ihr doch nur die Antwort zeigen. - Seht, meine Freunde haben nichts damit zu tun …. bitte, laßt sie frei - laßt uns gehen."

- Stille - Finsternis …

Klirren in den Spiegeln der Wände - Glimmen in der Statue … es hörte sich fast wie ein Lachen an. "Menschlein, ja fürwahr, Du wähntest Dich also auch auf der großen Suche - aber es war doch nur die Suche nach sterblicher Liebe. Denkst Du, Du bist jetzt einer der Erleuchteten - und hast Deine Antwort gefunden ?…" wieder das Klirren, das wie ein Lachen klang ringsumher - plötzlich erstarb es. "Diese Antwort finden nicht alle Menschen, Du bist also einer der auserwählt Glücklichen auf der Erde. Warum stellst Du aber die große Frage nach Vollkommenheit, wenn Du nur sterbliche Liebe suchst? - Kleine menschlich Wünsche, die Ihr Euch doch so leicht selbst erfüllen könnt - Warum durchtrennt Ihr die Grenzen zu meinem Reich für solche Nichtigkeiten? Warum betretet Ihr die Spiegelwelten? Jetzt sage mir endlich, wie ist Euch dies gelungen ? Was glaubt Ihr eigentlich, mit welchen Kräften Ihr hier rumspielen dürft? Ihr stellt schon die großen Fragen - aber Ihr seid noch nicht bereit die Antworten zu ertragen - warum stört Ihr sie dann auf - Ihr ahnt ja noch nicht einmal, was Ihr damit auslöst?"
"Ich weiß nicht - ich fand hier diese Höhle mit diesen Salzkristallen" Kelib zögerte … "Du bist gerade in einem dieser Kristalle" fügte er zögernd hinzu

- Schweigen -

"Ja", sprach Ijaschin "jetzt verstehe ich - dieses Salz wächst - es wird zu Stein - zu Sand - Ihr könnt es nicht aufhalten, Menschlein. Ihr habt nicht die Kraft dazu … es wird Euch verschlingen. - Mühlen mahlen langsam aber ständig - Spinnräder drehen der Lauf der Zeit - Menschlein, was habt Ihr getan - Ihr habt Euren eigenen Untergang herbeigezaubert." - wieder folgte Stille - Diesmal fing aber Kelib an zu sprechen: "Ijaschin" rief er "Ijaschin, es kam aus die Zaubermühle - nicht wahr - sie, die Tante, sie hat sich Salz gewünscht, so muß es gewesen sein" mit einem Mal sah er alles so klar vor sich - es wurde ihm siedenheiß: "Das Salz" rief er - "Es wird immer mehr - der See wird vergiftet - deshalb sterben die Fische - und dann - sind die Brunnen dran - und das Vieh - die Äcker und und wir müssen alle sterben ?"

- Stille -

"Ijaschin, sag mir - wie gelange ich zur Mühle, wenn ich sie seh - ich kann sie anhalten."

- Stille -

Dann erklang ihre Stimme erneut, diesmal sanft, leise und unendlich traurig: "Nein, kleiner Mensch. Sie bleibt für Dich unerreichbar - Du wärest tot - bist Du sie in den Tiefen findest. Dieses Ding hätte niemals in Eure dummen Hände gelangen dürfen.
Jetzt ist es zu spät. Die Mühle, das Salz, diese Dinge stammt nicht aus Eurer Natur. Es ist anders als alles was Ihr kennt. Der Schaden ist geschehen. Auch ich vermag, was geschehen ist, nicht rückgängig zu machen. Hier, dieser See selbst wirkt in Eurer Welt wie ein großer Spiegel,. Er wird, solange das Salz in ihm ist, als Tor zwischen den Welten geöffnet sein.
Höret: Hütet das Salz gut. Ihr dürft keine neuen Spiegeltore mehr damit öffnen. Die Spiegelwelten dürfen für Eure Welt noch nicht enthüllt werden. Ihr könnt sie noch nicht verstehen - Hütet dieses Salz benutzt es nicht: Ihr seid noch nicht bereit dafür. Wer weiß welche anderen Kräfte es noch zu haben vermag.
Auch ich kann diese Mühle auf dem Grund des Sees nicht anhalten, aber ich will die Zeit für Euch und das Land rund um den See verlangsamen. Damit verhindern wir wenigstens das schlimmste - und ihr erhaltet dadurch die Zeit zum Lernen und zum Reifen. Es soll nicht Eurer Tod sein, sondern ein neues Leben."

- Stille -

"Suche die Menschen, die die weiser sind als ihr, die um die Kräfte des magischen Salzes wissen - lernt von ihnen. Vielleicht findet Ihr dann gemeinsam einen Weg."

- Stille -

"Was ist mit unseren Freunden, Ijaschin, gibst Du sie wieder frei?" - Trauer lag jetzt in ihrer Stimme - "Nein, kleiner Mensch, es tut mir leid - sie haben die Grenzen des Spiegelreiches übertreten - sie haben bereits zuviele der Träume gesehen, die Euch noch verborgen bleiben müssen. - Sie können nicht wieder zurück ins Leben. Aber ich werde sie zu Euch senden. Sie sollen die Hüter des Salzsees werden. Sie sollen als Rusalkis den großen Spiegel und diese Grotte bewachen, damit keine Träume in die sterbliche Welt entweichen können."

- Stille -

"Nun geht endlich hütet das Salz. Versucht die Spiegel niemals wieder! Ohne das Wissen wäre es Euer Untergang."

- Stille -

und diesmal blieb es still.

"Laß uns gehen, Jossle" - Kelib zog Jossle einen Arm herunter "Was ist mit den anderen?" "Wir können Ihnen nicht mehr helfen. Sie sind in Ijaschins Obhut, sie wird sich um sie kümmern. Komm jetzt." Er trug Dunja, die leise wimmerte hinaus aus der Grotte, Jossle tapste benommen hinter ihm her.

Als sie das Boot festgemacht hatten, brachten sie zunächst Dunja hinauf zum Dorf - Kelib rief schon von weiten "Schnell einen Heiler - wir brauchen einen Heiler" - eilig liefen die Menschen herbei - nahmen ihm die inzwischen bewußtlose Dunja ab. Später merkte Kelib eine Hand auf der Schulter, "Keine Angst, sie wird schon wieder." Jossle hatte Dunja's Eltern herbei geholt - "Was ist mit unserem Kind - Junge nun erzähl schon …" Alle Augen richteten sich gespannt auf Kelib. "Ja, sagte er - ich werde Euch berichten …. ruft alle zusammen - in die Gemeindehalle. Ihr sollte alle die Wahrheit erfahren ….


Ende Teil 2

Mehr über das Volk der Träumer erfahrt ihr bei Christiane (friebs (at) gmx.net)